von Anna Stempel-Romano
“Was passiert eigentlich im pferdegestützten Coaching?” werde ich immer wieder gefragt… oder auch: “Was macht das pferdegestützte Coaching denn zu etwas Besonderem, was ist daran anders, als an einem normalen Coaching?”
Ich möchte mich diesen Fragen hier auf dem Blog immer wieder anhand konkreter Beispiele annähern. Denn pferdegestütztes Coaching schöpft seine Kraft hauptsächlich aus dem eigenen Erleben und weniger aus der theoretischen Erklärung und ich hoffe, dass durch das beispielhafte Erzählen ein bisschen von diesem eigenen Erleben auch bei dir ankommt.
Der Fall Herr B.
Herr B. kam in einer für ihn sehr anstrengenden und unangenehmen Phase seines Lebens zu mir. Nachdem er viele Jahre erfolgreich in einem Unternehmen gearbeitet hatte und dort zuletzt auch in einer hohen Führungsposition tätig war, stand er, nach einer betriebsbedingten Kündigung an dem Punkt, sich beruflich komplett neu erfinden zu müssen.
Diese Situation hatte ordentlich an seinem Selbstwertgefühl gekratzt und im Coaching ging es in erster Linie darum, wieder eine gute Verbindung mit sich selbst und mit der eigenen Kraft herzustellen.
Bist du du?
Pferde reagieren auf Authentizität, also darauf, ob ein Mensch sich so gibt, wie er tatsächlich ist, oder ob er eine Maske trägt bzw. sich verstellt. Sie fragen einen Menschen also immer danach, ob er “er selbst” ist.
Das macht die Pferde zu genialen Coachingpartnern, wenn es darum geht, sich mit den eigenen Gefühlen, dem eigenen Sein zu verbinden und (wieder) mit sich selbst in Kontakt zu kommen.
Es spielt dabei fast keine Rolle, welche “Aufgabe” sich ein Mensch im Kontakt mit dem Pferd auswählt. Im Fall von Herrn B. ging es einfach darum, sich mit dem Pferd gemeinsam zu bewegen. Und das ohne Hilfsmittel. Die Aufgabe war also, das Pferd ohne körperlichen Kontakt zum mitkommen zu motivieren.
Entscheidender als die tatsächliche Aufgabe ist im pferdegestützten Coaching allerdings immer die Reflexion des Erlebten.
Die Begegnung mit den Pferden – Anlass zur Selbstreflexion
Die Reflexion dessen, was mit den Pferden erlebt wurde – zum einen während dem Coachingtermin aber auch im Nachgang zu den Terminen vor Ort, ist ein wichtiger Bestandteil des Coachings. Schließlich soll es darum gehen, das was im Coaching passiert, auch mit in den Alltag zu nehmen und dort umzusetzen.
Bei der letzten Übung mit Lonny, bei der es um die Motivation des Mitlaufens ging. Sie erinnern sich an die zögernden Schritte von Lonny und mir? Kann es sein, dass Lonny gespürt hat, dass ich tief im Innern zweifelte, ob er wirklich kommt? Dass ich dieses ausgestrahlt habe, obwohl ich mich ihm nicht zugewandt hatte. Könnte dies der Grund sein?
Es ist gar nicht so einfach, diese tiefe innere Haltung zu spüren und das Vertrauen zu entwickeln, dass es gut werden wird, dass Lonny mir folgen wird. Ich glaube, Sie unterstützen mich ja, indem Sie mich vorher, zwischendrin und hinterher intensiv nach meiner Haltung und dem,was ich denke und fühle befragen und zum Nachdenken darüber anregen.
Die begleitenden Fragen des Coaches regen im Idealfall zu dieser Reflexion an und manchmal kommt es vor, dass die entscheidende Erkenntnis erst 1-3 Tage nach dem Coachingtermin eintritt. Das hat etwas damit zu tun, dass unser Erleben und unser Unbewusstes sehr schnell kapieren, um was es geht, während unser Verstand längere Zeit braucht, um das Geschehen zu verarbeiten. Das passende Gefühl ist in der Regel sofort da, der “Aha-Effekt” stellt sich meistens erst dann ein, wenn der Verstand nachgezogen hat.
Im obigen Beispiel hatte Herr B. tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen. Die eigene innere Haltung – das Vertrauen darauf, dass das Pferd sich einem anvertrauen und einem freiwillig folgen wird (und damit letztlich das Vertrauen in sich selbst) – ist ein Kriterium dafür, ob es sich einem auch tatsächlich anschließt. Denn wenn ich selbst zweifle, dann wird mein Gegenüber (egal ob Mensch oder Pferd) diesen Zweifel (unbewusst) wahrnehmen und entsprechend zurückhaltend reagieren.
Was die Pferde ins Coaching mitbringen
Die Arbeit mit den Pferden macht diese Diskrepanz zwischen innerer Haltung und äußerem Verhalten sehr deutlich, da die Pferde im Zweifel – also im Fall von Unstimmigkeiten – immer eher auf die innere Haltung reagieren werden, als auf das sichtbare Verhalten. Sie spiegeln uns also durch ihr Verhalten unsere eigenen Zweifel, Unsicherheiten aber auch unsere Klarheit und unser Selbstbewusstsein. Auch wenn uns diese Qualitäten vielleicht gar nicht immer bewusst sind!
Dieses Beispiel macht deutlich, dass Pferde uns Menschen im Coaching und in der Persönlichkeitsentwicklung dann besonders gut unterstützen können, wenn es darum geht, sich selbst zu reflektieren und innere Haltung und äußeres Verhalten miteinander in Einklang zu bringen. Außerdem sind sie in der Lage uns das Vertrauen in uns selbst und in unsere eigenen Stärken und Fähigkeiten zurück zu geben, ganz einfach, weil sie sie vielleicht besser wahrnehmen, als wir selbst es tun!